Die Floskel von den Totgesagten, die angeblich länger leben, muss irgendwann mal für Johnny Winter erfunden worden sein. Wer Ende der 1990er Jahre das zweifelhafte Vergnügen hatte, einen der damals desaströsen Auftritte des Blues-Albinos durchleiden zu müssen, hätte es wohl nicht für möglich gehalten, dass der gebürtige Texaner es wieder in den Sattel schafft. Inzwischen meistert der Woodstock-Veteran locker 150 Konzerte im Jahr (wenn auch im Sitzen), ein neues Studioalbum kommt bald raus. Was ist passiert, dass aus einem Zombie wieder ein vorzeigbarer Musiker geworden ist? Nun, der 67-Jährige rührt nach eigenen Angaben keinen Alkohol mehr an, sogar das Rauchen hat er aufgegeben. Und zum Jahresbeginn meldete sein Management auch noch, dass er vom Methadon runter ist. Respekt, Mister Winter!
In Europa immer noch angesagt
Hierzulande hat der legendäre Gitarrist noch viele Anhänger, wie bei seiner jüngsten Tour mit mehr als einem Dutzend Gigs in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu sehen war. Die großen Hallen kriegt Winter nicht mehr voll, aber die Music-Hall in Worpswede ist ja auch ganz nett. Im Publikum überwiegen die Grauschöpfe, die bereits volljährig gewesen sein dürften, als Winter Ende der 60er Jahre seinen ersten Plattenvertrag unterschrieb. Verwundern kann das nicht, denn selbst im Mutterland USA lockt Blues kaum noch junge Menschen hinter dem Ofen hervor. Hip-Hop ist halt cooler.
Funke springt über
Wie bei den vergangenen Tourneen auch kommt Winter – die Vorgruppe ist da schon seit einer guten Stunde beim Feierabendbier – nach einem Intro seiner Band auf die Bühne geschlurft. Die Miene wie immer unbeweglich, nimmt der Gute auf einem Stuhl Platz, greift nach seiner kopflosen Lazer-Gitarre und zupft sich durch die Setlist. Dass die jahrelange Selbstzerstörung mit Flasche, Pillen und Nadel seinem Spiel nichts anhaben konnte, wird wohl selbst der größte Fan nicht zu behaupten wagen. Mit Paul Nelson, Winters neuem Manager, steht etwas auf der Bühne, was Johnny früher nicht brauchte: ein zweiter Gitarrist. Besser ist das wohl.
In den ersten 20 Minuten will der Funke nicht so recht überspringen, die Stücke rauschen gut am Ohr vorbei, der Applaus bleibt freundlich, aber verhalten. Erst als Winter die Slow-Blues-Nummer „Black Jack“ anstimmt und seiner Gitarre dabei einige sehr gelungene Läufe entlockt, kommt Stimmung auf. Vielleicht sollte der Flitzefinger früherer Jahre sein Programm mehr darauf abstimmen, dass die halsbrecherischen Soli nicht mehr seine Sache sind. Ansonsten gibt es sehr viel Rock auf die Ohren: „Bonie Moronie“, „Johnny B. Good“, „It‘s all over now“. Wollte er eigentlich alles nicht mehr spielen, weil zu wenig bluesig. Aber da hält es Johnny wohl mit Adenauer: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ Zumal man ihm – im Gegensatz zu Adenauer – auch abnehmen würde, dass er sich nicht erinnern kann, solche Aussagen jemals getätigt zu haben.
Zu gut für die Rente
Einmal warmgespielt, bietet der 67-Jährige ein beachtliches Niveau mit doch recht intensiven Soli. Zum Schluss ist wie immer ein bisschen Slide und der Wechsel auf die Gibson Firebird angesagt. Dann ist auch der Moment gekommen, in dem Winter seinen Stuhl verlässt und im Stehen spielt. Das Publikum hat er spätestens jetzt in der Tasche, der Saal tobt. Immerhin 90 Minuten hält der Meister durch – mein erstes Johnny-Winter-Konzert, Januar 1989 im Jovel in Münster, war eine Viertelstunde früher beendet. Auch wenn vieles Routine ist, viele Licks seit Jahrzehnten auf seiner Festplatte gespeichert sind – es hat Spaß gemacht! Und was genauso wichtig ist: Der Mann sieht für seine Verhältnisse fit aus. Macht nicht den Eindruck, als würde Winter in absehbarer Zeit die Rente beantragen.
Johnny Winter Wikipedia